Zusammenfassung
Antrag des Rechts- und Verfassungs-Ausschusses
Verhandlungsgegenstand
- VerhandlungsgegenstandLtg.-2115/A-3/710-2022 – Klares Bekenntnis zur immerwährenden Neutralität Österreichs
Video-Übertragung der Sitzung
Auszug aus dem Sitzungsbericht
Abg. Mag. Hofer-Gruber (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Das ist ein ernstes Thema, mit dem wir die heutige Debatte da beschließen. Gestatten Sie mir einen kurzen historischen Abriss: April 1955, Moskauer Memorandum. Das war eine politische Erklärung, in der sich Österreich oder die Vertreter Österreichs verpflichtet haben, die immerwährende Neutralität umzusetzen. Das war kein Vertrag, aber es war die Basis für den Staatsvertrag. Österreich war damals wichtig, dass die Neutralität eben nicht im Staatsvertrag drinstehen würde, sondern in einem separaten Gesetz geregelt würde. Tatsächlich wurde dann im Mai 1955 der Staatsvertrag abgeschlossen. Die Bilder kennen wir alle und im Oktober 1955 wurde das Neutralitätsgesetz beschlossen. 26. Oktober – kennen wir auch. Mit diesem Neutralitätsgesetz wurde die Neutralität Österreichs der Völkergemeinschaft einseitig bekanntgeben. Von dieser aber in keiner Weise garantiert. Sie basiert also nicht auf einem internationalen Vertrag, sondern auf einer einseitigen Erklärung Österreichs. Es war damals schon klar: Diese Neutralität schützt vor nichts und niemandem. Im Dezember 1955 erfolgte dann der weitere Schritt – nämlich der Beitritt zur UNO. Im Anschluss folgten lange Jahre des kalten Krieges. Die Neutralität wurde damals für die Vermittlerrolle genützt. Bruno Kreisky hat sich da hervorgetan. Wien hat sich als Drehscheibe für Geheimdienste aller Art etabliert und ein EU-Beitritt wurde damals als inkompatibel mit der Neutralität gesehen. 1989, die Wende in Europa führt auch zu einem Umdenken in Österreich und 1994 tritt Österreich dem „Partnershipfor Peace“ bei und 1995 bekanntlich der EU. 2009 unterzeichnet Österreich den Vertrag von Lissabon. Der ist zwar mit der irischen Klausel für die Neutralen in der EU ein bisschen abgeschwächt. Der Bundesverfassung hat man da einen Artikel 23j dazugefügt, damit das alles irgendwie zusammenpasst. Seit 2017 gibt es „PESCO – Permanent Structured Cooperation“, auf Deutsch: Ständige strukturierte Zusammenarbeit, wird im Allgemeinen verstanden als Vorläufer einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Dänemark ist da vor kurzem unter Getöse beigetreten und Österreich? Österreich ist Gründungsmitglied von PESCO, ist seit 2017 dabei. Die regelmäßige Teilnahme an „Battlegroups“, gemeinsamen Übungen und Auslandseinsätzen von österreichischen Soldaten erwähne ich hier nur am Rande. Der Umgang mit der immerwährenden Neutralität in Österreich ist ein schlampiger, schon wieder so ein österreichischer Weg. Neutralität war nie eine Gesinnungsneutralität, immer nur eine militärische und nach Schweizer Muster – das hätte ursprünglich das Muster der österreichischen Neutralität sein sollen im Moskauer Memorandum – nach Schweizer Muster war da nie etwas. Weder ein echter Wille ernsthaft aufzurüsten, um die Grenzen auch glaubhaft schützen zu können, noch Äquidistanz, ausgedrückt etwa in der Weigerung der Schweiz der UNO beizutreten, obwohl sie genügend UNO-Organisationen beherbergt hat. Die Schweiz hat sich noch 1986 mit einer deutlichen Mehrheit gegen einen UNO-Beitritt ausgesprochen. Erst 2002 erfolgte mit knappem Mehrheitsentscheid der Beitritt. Ich zitiere jetzt die bekannte Politologin und Konfliktforscherin Universitätsprofessorin Irene Etzersdorfer, die sagt (liest:)„Nach dem EU-Beitritt wurde hierzulande nicht die Neutralität, sondern deren Fiktion zum Identitätselement. Denn streng genommen liegt der Patient „Neutralität“ schon länger im Koma, aber kein politischer Wille getraut sich den Stecker der Herz-Lungen-Maschine herauszuziehen.“ Also bleibt die Neutralität formal am Leben. Gleichzeitig sind wir in die Verteidigungs- und Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union bereits integriert, freilich mit der sogenannten „Irischen Klausel“ – ich habe sie erwähnt – die den Neutralen und Allianzfreien in der EU im Lissabonvertrag Besonderheiten gewährt. In Österreich leben wir sehr gut mit der Vorstellung. Mit Hilfe der Neutralität können wir uns aus den bösen Dingen raushalten, die da draußen in der Welt geschehen. Wir sind die Insel der Seligen. Wir sind eh ganz harmlos und gemütlich und bitte lasst uns in Ruhe und verschont uns mit Terror und sonstigen Gewaltkonflikten. Aber im Fall des Falles steht uns bitte schon bei, gell? Aber wir machen umgekehrt nichts, ist eh ok. Und das, meine Damen und Herren, ist die Neutralität, die Sie meinen und über die sie nicht diskutieren wollen. Wir nennen das „Trittbrettfahren“ und wir sind in Europa nicht die einzigen, die das so sehen – glauben Sie mir das. Aber es zeigt sich: Es ist höchste Zeit, dass Österreich bereit ist von diesem Trittbrett herunterzusteigen, auf dem wir uns so wohl fühlen. Aber nicht hinunter, sondern endlich in den Zug einzusteigen, der zwar noch ruckelt, der aber im Rahmen der Ukraine-Krise schnell Fahrt aufnehmen wird und sich in Richtung gemeinsamer Schutz der EU-Außengrenzen mit einem Europäischen Berufsheer bewegt. Denn eines, meine Damen und Herren, wird in Zukunft nicht mehr gehen: Nach der Devise „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ darauf vertrauen, dass die im Vertrag von Lissabon festgelegte Beistandspflicht eine einseitige Sache ist und so bleibt. An einer sachlich und faktorientiert geführten Neutralitätsdebatte, die nicht gleich durch den Zuruf vom Bundeskanzler beendet wird bevor sie begonnen ist, führt aber kein Weg vorbei. Das heißt nicht, dass wir die Neutralität abschaffen müssen. Wir müssen sie aber neu denken und im europäischen Kontext neu mit Leben erfüllen. Und Denkverbote, meine Damen und Herren, sind immer schlecht und Diskussionsverbote auch. Gerade hier – das Wort „Parlament“ leitet sich ja von „parlare“ ab, was so viel wie Reden heißt und nicht Schweigen. Aber der vorliegende Antrag fordert quasi ein solches Denk- und Diskussionsverbot. Mit der Formulierung „einige wenige selbsternannte Privilegierte haben in einem offenen Brief eine Debatte ohne Scheuklappen über die österreichische Sicherheitspolitik gefordert“ wird hier Stimmung gegen eine überfällige Neubewertung der Sicherheitspolitik Österreichs gemacht und alle Regierungsparteien haben im Ausschuss interessanterweise zugestimmt. Gratuliere! Das ist eine Sternstunde der politischen Diskussion. Kollege Landbauer, Sie müssen uns nicht erklären, wie „liberal“ geht. Bei uns hat Freiheit eine Schwester, die heißt Verantwortung. Die nehmen wir wahr – auch hier bei diesem Thema und in dieser Debatte. Auf eines möchte ich Sie auch noch hinweisen, weil in dem Antrag ja so griffig formuliert wird – ich zitiere (liest:)„… dass unsere Kinder…“, Sie meinen wahrscheinlich Soldaten „…nicht in der NATO oder in einem anderen Militärbündnis aufwachen und somit der permanenten Gefahr ausgesetzt sind, sich an kriegerischen Auseinandersetzungen fernab der Heimat für ausländische Interessen beteiligen zu müssen.“ Soweit Ihre Polemik und jetzt die Realität: Erstmals und bisher einmalig wurde die Beistandsklausel nach Artikel 42 Abs. 7 EU-Verträge am 17. November 2015 von Frankreich nach dem Terroranschlag in Paris aktiviert. Österreich hat damals Unterstützung zugesagt – Neutralität hin oder her. Und Frankreich hat auch von Österreich im Hinblick auf die „Irische Klausel“ nur solche Maßnahmen erbeten, die als völlig unproblematisch galten. Wie? Und jetzt hören Sie gut zu: „Die Verstärkung der Kontingente bei EU- und UNO-Missionen in Afrika als Beitrag zur Stabilisierung dieses sensiblen Raumes und die Zurverfügungstellung von Lufttransportkapazitäten im Rahmen solcher Missionen.“ Also genau das, was Sie als Teufel an die Wand malen. Sie sehen also, wie überholt dieser Antrag wirkt und ist. Wir werden ihm daher nicht zustimmen, weil wir die Zukunft nicht am unbedingten Festhalten an Worthülsen sehen, sondern in einer aktiven Rolle Österreichs innerhalb einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und über die müssten wir reden, meine Damen und Herren, statt uns selbst einen Maulkorb umzuhängen. Dankeschön. (Beifall bei den NEOS.)
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- NEOS – Das Neue Niederösterreich