Vom Landtaiding zum modernen Landesparlament
Geistliche und weltliche Würdenträger bildeten den Rat des Fürsten, Angehörige von Landherrengeschlechtern erschienen als Inhaber von Erbämtern (Marschall, Kämmerer, Truchsess, Schenk), die bis zum Ende des Ständewesens als Landeserbämter weiterbestehen. Die als gerichtliche Institutionen bezeugten Hof- und Landtaidinge des 13. Jahrhunderts entwickelten sich im Laufe des 14. Jahrhunderts zu Landtagen. Seit dem frühen 15. Jahrhundert besuchten Prälaten, Herren, Ritter und Vertreter von bestimmten Städten und Märkten die regelmäßig stattfindenden Landtage.
Die Zugehörigkeit zu den Ständen war bei den Herren und Rittern an adelige Geburt und Besitz im Lande gebunden, im Falle der Prälaten und der Vertreter des "Vierten Standes" handelte es sich um Personen, denen kraft ihres Amtes (Klostervorsteher, Bürgermeister, Stadtrichter) die Landstandschaft zukam. Die Landtage des späten Mittelalters und der Neuzeit wurden vom Landesfürsten einberufen, liefen nach einem bestimmten Zeremoniell ab und befassten sich vorwiegend mit militärischen und steuerlichen Problemen. Im Jahre 1513 kauften die niederösterreichischen Stände von den Herren von Liechtenstein ein Haus in Wien, das sie zum Landhaus ausgestalteten und zum Mittelpunkt ihrer politischen und administrativen Tätigkeit machten.
Unter den Herrschern Maria Theresia (1740-80) und Joseph II. (1780-90) verloren die Stände viele Kompetenzen. Leopold II. (1790-92) stellte die äußeren Formen der Ständischen Landesverfassung wieder her, doch gewannen die Stände ihre frühere Bedeutung nicht zurück.
Immerhin bildeten die Ständischen Versammlungen und Landtage ein konstitutionelles Element im Staate. Das uralte Beschwerde- und Petitionsrecht der Stände enthielt Möglichkeiten der Gesetzesinitiative. Landesgesetze wurden allerdings nicht von den ständischen Landtagen, sondern vom Landesfürsten meist in Form von "Patenten" erlassen.
Auf dem Weg zur demokratischen Volksvertretung
Das Revolutionsjahr 1848 brachte auch das Ende der ständischen Vertretung. Nach anfänglichen demokratischen Zugeständnissen folgte jedoch auf die Niederwerfung der Revolution und Ungarns die Rückkehr zu Zentralismus und Absolutismus. Erst außenpolitische Misserfolge und verlorene Kriege sowie die wachsende Unzufriedenheit im Volk führten allmählich zur Regierungsbeteiligung der Volksvertretung und damit zum Ende des Absolutismus.
Das Oktober-Diplom, die Verfassung vom 20. Oktober 1860, begründete zwar eine neue ständische Verfassung, trat aber nie in Kraft. Das Februarpatent, das Verfassungswerk vom 26. Februar 1861, das im Wesentlichen bis zum Ende der Monarchie in Kraft war, schmälerte die Befugnisse der Landtage zugunsten des Reichsrates. Gleichzeitig mit der neuen Verfassung wurden eine neue Landesordnung und eine Landtagswahlordnung für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns erlassen.
Am 6. April 1861 trat der erste gewählte Landtag von Niederösterreich zusammen. Die 66 Mitglieder waren großteils nach dem Zensuswahlrecht gewählt, d. h. die Wahlberechtigung war an eine bestimmte Steuerleistung des Wählers gebunden. Dadurch waren kaum zehn Prozent der Einwohner Niederösterreichs wahlberechtigt. Immerhin wurden nunmehr die Deputierten der Städte und Märkte und die der Landgemeinden erstmals in Wahlkreisen gewählt, wobei die Landgemeindenvertreter durch Wahlmänner ermittelt wurden. Ab 1896 wurden die Zahl der Abgeordneten um 12 erhöht und die Vertreter der Landgemeinden direkt gewählt.
Im Jahre 1907 stieg die Anzahl der Mitglieder des Landtages auf 127, wobei der Landtag in drei Kurien geteilt war: 23 Abgeordnete der ersten Kurie wurden nach dem Privilegienwahlrecht gewählt, 46 der zweiten Kurie nach dem Zensuswahlrecht und 58 der dritten nach dem nunmehr für Männer eingeführten allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht.
Vorsitzender des Landtages, der keine politischen Parteien im heutigen Sinn und damit auch keine Fraktionsbildungen kannte, war der Landmarschall, der vom Kaiser für jede Tagung mit dem Vorsitz betraut wurde.
Das Werden der Demokratie
Am 21. Oktober 1918 fand im Niederösterreichischen Landhaus die für die Geschichte der Republik Österreich so bedeutende Konstituierung der "Provisorischen Nationalversammlung des selbständigen Deutschösterreichischen Staates" statt. Dem Vorbild der deutschsprachigen Reichsratsabgeordneten entsprechend bildeten sich in den Ländern Provisorische Landesversammlungen und brachten damit die Selbständigkeit der alten Kronländer und nunmehrigen Bundesländer zum Ausdruck. Auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes erklärten sie sich als selbständige Länder im Rahmen des deutsch-österreichischen Staates.
120 der bei den Wahlen des Jahres 1908 gewählten Abgeordneten - 88 davon waren Landtagsabgeordnete und 32 Reichsratsabgeordnete - fanden sich am 5. November 1918 im Niederösterreichischen Landtagssitzungssaal zur Bildung der Provisorischen Landesversammlung zusammen und beschlossen, die "politische Verwaltung Niederösterreichs und die Vollzugsgewalt" zu übernehmen. Mit dem Staatsgesetz vom 14. November 1918 betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern waren die provisorischen Landesversammlungen anerkannt worden. Sie erhielten zunächst lediglich die Befugnisse der früheren Landtage, das Recht der Gesetzgebung brachte erst eine Verfassungsänderung vom 14. März 1919.
Eine der vordringlichsten Aufgaben der Provisorischen Landesversammlung war der Beschluss einer neuen Landtagswahlordnung am 20. März 1919, damit ein gewählter Landtag an die Stelle des Provisoriums treten könne. So wurde am 4. Mai 1919 der Landtag von Niederösterreich erstmals nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes, wenn sie vor dem 1. Jänner 1919 das 20. Lebensjahr überschritten hatten, gewählt: Von den 120 Abgeordneten kamen 68 aus Wien und 52 aus dem heutigen Niederösterreich.
Die Trennung Wiens von Niederösterreich
Mit dem Inkrafttreten der Bundes-Verfassung am 10. November 1920 begann der Trennungsprozess von Wien und Niederösterreich. Der Artikel 2 der Bundesverfassung kannte zwar noch ein einheitliches Land Niederösterreich, doch enthielten die Artikel 108 bis 114 Bestimmungen über eine GliederungNiederösterreichs in die beiden Landesteile Wien und Niederösterreich-Land. Gemäß Artikel 110 sollte jeder der beiden Landesteile in den nicht gemeinsamen Angelegenheiten die Stellung eines selbständigen Landes haben. Der bestehende Landtag fungierte weiterhin als (gemeinsamer) Landtag für beide Landesteile, wurde aber in die Kurien "Wien" und "NÖ-Land" geteilt. Den Kurien wurden die Abgeordneten nach ihren Wahlkreisen zugeordnet.
Die Trennung Wiens von Niederösterreich erschien damals vielen weder zweckmäßig noch sinnvoll. Wirtschaftlich erwies sie sich für Niederösterreich in der weiteren Folge als gravierender Nachteil. Politisch aber war diese Trennung notwendig geworden, da die Vertreter der übrigen Bundesländer der Bundesverfassung nur dann zuzustimmen bereit waren, wenn sie nicht von einem einzigen Bundesland, nämlich Niederösterreich mit Wien, das damals mehr als die Hälfte aller Einwohner Österreichs hatte, im Bundesrat majorisiert werden konnten. Zum anderen war es eine politische Notwendigkeit, die grundverschiedenen Interessen einer Großstadt mit sozialdemokratischer Dominanz von den Interessen des Bauernlandes Niederösterreich mit großer christlichsozialer Mehrheit zu trennen.
Am 30. November 1920 beschloss der Landtag von Niederösterreich-Land die Verfassung des Landes, die im Wesentlichen bis 1979 galt. Eine gemeinsame Landesverfassung wurde erst am 28. Dezember 1920 erlassen und hatte nur kurze Gültigkeit. Die praktischen Erfordernisse erzwangen nämlich schon bald eine klare Entscheidung, die schließlich mit der ausdrücklichen Außerkraftsetzung der gemeinsamen Landesverfassung und dem Trennungsgesetz am 29. Dezember 1921 getroffen wurde: In übereinstimmenden Beschlüssen des Wiener Landtages und des Landtages von Niederösterreich-Land wurde mit 1. Jänner 1922 ein "selbständiges Bundesland Wien" gebildet und der bisherige Landesteil Niederösterreich-Land zum ebenfalls selbständigen Bundesland Niederösterreich erhoben.
Am 10. Juli 1986 hat der Landtag durch Änderung der NÖ Landesverfassung St. Pölten zur Landeshauptstadt bestimmt, ist am 21. Mai 1997 in das neu errichtete Landhausviertel übersiedelt und hat dort seine Arbeit aufgenommen.
Das Ende der Demokratie
Als es am 4. März 1933 zur Ausschaltung des Nationalrates kam, wurde der NÖ Landtag zum Schauplatz der demokratisch-politischen Auseinandersetzungen. Die Sozialdemokraten, denen durch die Auflösung des Parlaments jede Möglichkeit politischer Mitbestimmung entzogen worden war, attackierten die Christlichsozialen wegen des verfassungswidrigen Vorgehens der Bundesregierung. Nachdem die Terroranschläge und Gewalttaten der NSDAP am 19. Juni 1933 mit einem Handgranatenüberfall auf christlich-deutsche Turner in Rehberg bei Krems mit einem Todesopfer und 16 Verletzten einen Höhepunkt erreicht hatten, verbot die Bundesregierung noch am gleichen Tag die NSDAP. Im NÖ Landtag jedoch stimmten Christlichsoziale und Sozialdemokraten gemeinsam für ein Verfassungsgesetz, welches das Verbot der NSDAP und die Aberkennung ihrer Mandate auf Landes- und Gemeindeebene zur Folge hatte.
Noch knapp vor dem Bürgerkrieg des Jahres 1934 gab es im NÖ Landtag eine Gesprächsbasis zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, die auch nach dem 12. Februar 1934 bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zumindest teilweise erhalten blieb. Am 1. Juli 1934 trat die Ständische Verfassung für die Republik Österreich in Kraft, die ständische Landesverfassung am 1. November 1934. Der Ständische Landtag von Niederösterreich setzte sich aus 36 Mitgliedern zusammen, die vom Landeshauptmann ernannt wurden. Neben kirchlichen Vertretern und Mandataren für Wissenschaft und Bildung stellten die Bauern den Großteil der berufsständischen Gruppen.
Am 13. März 1938 wurde Österreich ein "Land des Deutschen Reiches" und damit der Anschluss vollzogen. Mit dem Erlass des "Führers und Reichskanzlers" vom 17. März 1938 gingen sowohl die Hoheitsrechte des Bundes wie auch jene der früheren Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung auf das Deutsche Reich über. In der NS-Diktatur waren Landtage nicht mehr vorgesehen. Seit dem 24. Mai 1938 hieß Niederösterreich Niederdonau. Auch zahlreiche niederösterreichische Politiker waren Opfer des NS-Regimes: Landeshauptmann Reither gehörte zu den ersten, die ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurden.
Demokratischer Neubeginn
Der Zweite Weltkrieg hatte Niederösterreich besonders in Mitleidenschaft gezogen. Wochenlang war Niederösterreich Kriegsschauplatz, 71 % aller in Österreich an Industrieanlagen registrierten Kriegsschäden waren in Niederösterreich zu verzeichnen. Ein Drittel der Wohnhäuser des Bundeslandes war zerstört oder beschädigt, von 12.600 in ganz Österreich beschädigten oder vernichteten Bauernhöfen lagen 11.680 in Niederösterreich. 678 Brücken des Landes waren gänzlich oder größtenteils zerstört, neun Zehntel des niederösterreichischen Eisenbahnnetzes waren durch Kriegseinwirkungen in Mitleidenschaft gezogen.
Nachdem die Provisorische Staatsregierung die Österreichische Bundes-Verfassung mit Stand vom 5. März 1933 und mit Wirksamkeit vom 1. Mai 1945 in Kraft gesetzt hatte, ernannte sie Leopold Figl zum provisorischen Landeshauptmann, der gemeinsam mit dem Sozialisten Oskar Helmer und dem Kommunisten Otto Mödlagl als Landeshauptmannstellvertreter die Landesverwaltung wieder errichtete.
Ähnlich den Länderkonferenzen nach dem Ersten Weltkrieg wurden im Herbst des Jahres 1945 die Einheit des Landes und die Demokratie in Österreich bei drei Länderkonferenzen im NÖ Landtagssitzungssaal wieder hergestellt. Die Anwesenheit der Besatzungsmächte und das Einspruchsrecht des Alliierten Kontrollrates erschwerten die Arbeit der Bundes- und Landesbehörden.
Die erste Landtagswahl nach dem Krieg fand am 25. November 1945, gleichzeitig mit der Nationalratswahl, statt. Mit der Konstituierung des NÖ Landtages am 12. Dezember 1945 ging die Landesgesetzgebung von der Provisorischen Landesregierung wieder auf den Landtag über.
Obwohl die KPÖ bei den ersten Landtagswahlen nach der Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich nur 5,15 % der Stimmen erhalten hatte, führte der Umstand, dass Niederösterreich in der sowjetischen Besatzungszone lag, zur Einsetzung eines kommunistischen Regierungsmitgliedes.
Die Arbeit des Landtages in den ersten Nachkriegsjahren war vornehmlich von den Problemen der Ernährungssicherung und des Wiederaufbaues bestimmt. Niederösterreich hat bis zum Staatsvertrag 1955 zehn Jahre lang im Interesse des Gesamtstaates die Hauptlast der Besatzung Österreichs getragen und dabei bedeutende Opfer gebracht.
Die Schaffung der direkten Demokratie
Ein Meilenstein der demokratischen Entwicklung Niederösterreichs war die Beschlussfassung der Landesverfassung 1979. Die Entstehungsgeschichte der neuen NÖ Landesverfassung, die das 1925 und 1930 geänderte Grundgesetz von 1920 ablöste, reicht bis zum 19. Juli 1969 zurück, als der Landtag die Landesregierung aufforderte, die alte Verfassung und auch die Geschäftsordnung des Landtages zu überprüfen. In jahrelangen Verhandlungen war um eine für beide im Landtag vertretenen Parteien akzeptable Form des rechtspolitischen Zieles gerungen worden, bis am 5. Oktober 1979 in einer Festsitzung des Landtages Verfassung und Geschäftsordnung beschlossen wurden.
Wesentlich an der neuen Verfassung, die in besonderem Maße die Eigenständigkeit des Landes Niederösterreich bestimmt, war, dass sie den Gemeinden und Bürgern größeres Mitsprache- und Mitwirkungsrecht sowohl in der Gesetzgebung des Landes als auch in der Vollziehung einräumt. So ist es seit einer weiteren Stärkung der Instrumente der direkten Demokratie im Jahr 2018 25.000 Wahlberechtigten oder 50 Gemeinden möglich, sowohl die Erlassung, Änderung oder Aufhebung eines Landesgesetzes als auch die Durchführung einer Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluss des Landtages zu verlangen. In der Vollziehung sind außerdem eigene Initiativen der von der Vollziehung betroffenen Bürger und Gemeinden vorgesehen. Weiters wurde der Kreis der zur Begutachtung von Gesetzesvorlagen berechtigten Institutionen erweitert und eine der Volksanwaltschaft ähnliche Beschwerdestelle eingerichtet. Die Einführung des Begriffes „Landesbürger“ trägt auch zur Hebung des niederösterreichischen Landesbewusstseins bei.