Zusammenfassung
Verhandlungsgegenstand
- VerhandlungsgegenstandLtg.-1937/A-8/48-2022 – Pflegenotstand beenden – Sicheres Pflegenetz für Niederösterreich!
Video-Übertragung der Sitzung
Auszug aus dem Sitzungsbericht
Abg. Mag. Silvia Moser, MSc (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Landesregierung! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier geschätzt in jeder zweiten Sitzung zumindest über das Thema „Pflege“ und wir wissen alle um die Problematik und zwar schon sehr lange. Nichtsdestotrotz wurde in meiner Wahrnehmung die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit, ja die Dramatik dieses Problems der Personalsituation in der Pflege von der ÖVP hier im Hohen Haus noch bestritten, als bereits unzählige Pflegeposten nicht mehr besetzt werden konnten. Und die Verantwortung abzuschieben – das geht auch nicht. Wer ist zuständig für die Krankenhäuser in Niederösterreich? Es ist die NÖ Landesregierung. Ebenso für die Pflege und für die Pflegeausbildung. Beim Thema „Pflege“ gilt halt ganz besonders: Reden ist zu wenig. Reden ist Silber, Tun ist Gold. Kollege Erber, wenn du sagst: „Wir sind kein Gebiet mit Pflegenotstand“, dann muss ich dir wirklich heftig widersprechen. Frag einmal all jene, die auf Hauskrankenpflege warten und zwar schon monatelang und keine Unterstützung kriegen. Und frag einmal jene, die einen Pflegeplatz brauchen und auch keinen kriegen, weil so viele Pflegebetten nicht zu bespielen sind. Von den Fakten haben wir schon einiges gehört. Ich möchte noch ein bisschen etwas ergänzen. 92.000 Pflegegeldbezieherinnen in etwa gibt es in Niederösterreich. Zwei Drittel davon haben ausschließlich informelle Pflege. Davon wiederum werden drei Viertel von Frauen geleistet. Ja und wie du gesagt hast, Kollege Erber, 85 % der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Ein kleiner Teil davon, 7.000 in etwa, haben 24-Stunden-Hilfe und das haben wir jetzt in Corona gelernt, wie labil dieses System ist. In etwa 10.000 Personen sind im Pflegeheim bei uns betreut. Die Situation ist: Die hochaltrigen Zahlen steigen. Die Babyboomer-Generation geht in Pension, darunter auch viele, die in der Pflege arbeiten. Diese Generation wird zunehmend selber das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen und gleichzeitig steigt die Anzahl der Einpersonenhaushalte und der Alleinstehenden. Ein Pflegenetz kann nur dann tragfähig sein, wenn es aus den verschiedensten Elementen besteht. Das ist z. B. Mehrgenerationenwohnen, Betreutes Wohnen, Betreubares Wohnen, Tageszentren, Mobile Dienste, aber Angehörige, Zugehörige und auch stationäre Pflege, etc. müssen wir hier berücksichtigen. Solange die professionelle Pflege nur einen Bruchteil übernehmen kann, ist es vom gesamtgesellschaftlichen Interesse die Pflege und Betreuung unserer alten und kranken Menschen von zu Hause möglichst lange sicherzustellen. Dafür wiederum braucht es die Angehörigen und den Ausbau der ambulanten Versorgung. Ich habe es hier schon mehrmals gesagt: Hausbesuche durch medizinisches, therapeutisches und Pflegepersonal und dazu Sozialarbeit sind hier unabdingbar. Die Anstellung pflegender Angehöriger, wenn wir uns ehrlich sind, hat im Burgenland und in Oberösterreich kaum etwas gebracht. Daher braucht es eine Anlaufstelle in der Region. Es sind oft Kleinigkeiten: eine Information, ein Handgriff, gewusst wie, wie man einfache Pflegehandlungen tätigt oder zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten bei Demenz. Und es sind Krisensituationen wie Verschlechterungen der gesundheitlichen Situation oder nach Krankenhausaufenthalten. Und da muss rasch und unbürokratisch Hilfe zur Verfügung stehen und daher fordere ich die Einrichtung von regionalen Pflegezentren. Diese Pflegezentren kann man als Angehöriger, als Betroffener in solchen Krisensituationen kontaktieren. Die können jetzt bei Gemeinden angesiedelt sein, bei Pflegesprengel, man könnte auch die Landespflegeheime zu Pflegebetreuungs- und Beratungszentren ausbauen. Man kann sie an Primärversorgungszentren angliedern, aber jedenfalls sollen sie ein Angebot des Landes NÖ sein – unabhängig von den Trägern der Sozialen Dienste. Nach Krankenhausaufenthalten schließen sie nahtlos an die Sozialarbeit und das Entlassungsmanagement der Landeskliniken an. Das Projekt der „Community Nurses“ ist ein erster und wichtiger Schritt in diese Richtung, aber der flächendeckende Ausbau von Pflegeberatung muss rasch erfolgen. „Rasch“ ist hier das Wesentliche. Gesundheitspolitisch gewinnen die Rehabilitation oder Tertiärprävention an Bedeutung. Ziel ist, die Stabilisierung von Krankheitsbildern und das Verhindern vom Fortschreiten der Pflegebedürftigkeit. Aber auch hierfür braucht es Anlaufstellen. Egal welche Schritte gesetzt werden: Das Personal muss da sein. Es braucht gut ausgebildetes Pflegepersonal. Da werfe ich hier der Landesregierung nochmals vor, das Problem verschleppt und nicht ernstgenommen zu haben. Ich erinnere mich noch gut: Es war vor drei oder vor vier Jahren, Herr Bürgermeister, du kannst mich bestätigen, da war die Krankenpflegeschule in Zwettl in Diskussion, ob sie geschlossen werden soll. Ja wo führt denn das hin? Jetzt brauchen wir noch mehr Personal und schließen die Schulen? Na Gott sei Dank ist es dann nicht so weit gekommen. Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind gut, aber viel zu spät und viel zu wenig und sie erfüllen auch nur zum Teil unsere langjährigen Forderungen. In der Ausbildung monatliche Prämien in der Höhe von 420 Euro sind gut, werden in anderen Bundesländern seit Jahren gewährt. Im Vergleich z. B. zur Polizei sind es „Peanuts“. Es braucht – und das haben wir wiederholt gefordert und beantragt – Ausbildung aller Stufen in allen Regionen, weitere dislozierte FH-Lehrgänge – Mistelbach ist hier ein Anfang. Es braucht auch einen in Zwettl. Es braucht höhere Lehranstalten für Pflege, so wie jetzt der Schulversuch in Gaming ist, in jeder Region mindestens eine. Es braucht die Durchlässigkeit der Ausbildung. Es braucht die Möglichkeit der Ausbildung in Teilzeit, berufsbegleitend und in den Regionen. Bei den Arbeitsbedingungen, da haben wir heute schon einiges gehört: Es wird nicht reichen, wenn man kurze Wege macht für das Pflegepersonal, so wie angekündigt. Es braucht verlässliche Dienstpläne. Ich habe es selbst vor kurzem erlebt: Eine Freundin, eine diplomierte Pflegefachkraft, die bei uns abends zu Gast war und ständig aufs Handy geschaut hat, weil es könnte sein, dass sie einspringen muss und dann muss sie sofort nach Hause gehen. Ein wirklich untragbarer Zustand. Es braucht auch die Reduktion der Normalarbeitszeit und es braucht flexible Arbeitszeitmodelle, dazu eine deutliche Gehaltserhöhung und die Anerkennung als Schwerarbeit. Wogegen ich mich wirklich vehementest verwehre, das ist eine Senkung der Qualitätsstandards oder ein „Downgrading“ im Tätigkeitsprofil. Das kann es, liebe Kolleginnen und Kollegen, wirklich nicht sein. Da verwehre ich mich ganz, ganz deutlich. Ja, es ist eine – wie man heutzutage sagt – „Challenge“ 9.500 zusätzliche Pflegepersonen bis 2030 für Niederösterreich zu finden. Das wird eine Riesenherausforderung. Es braucht dafür gezielte Anwerbung, aber auch Eignungsprüfung. Nicht wahllos ausbilden, die Leute springen dann sowieso nach kurzer Zeit wieder ab. Wir könnten einmal auch überlegen: Wie hole ich Leute zurück, die den Pflegeberuf verlassen haben, die noch jung sind, die 20, 25, 30 Jahre alt sind? Welche Bedingungen würde es brauchen, damit sie zurückkehren? Und das sind viele. Das setzt gezielte Planungen voraus. Das ist – wie ich das so sehe – nicht gerade die große Stärke der Landesregierung. Da muss ich einen Seitenhieb machen, dass seit 2018 der regionale Strukturplan „Gesundheit“ fehlt und wenn wir uns ehrlich sind: Mit den notwendigen Maßnahmen hätte vorgestern begonnen werden müssen. Beherzigen wir das: In der Pflege ist nur eines Gold, das ist das Tun. (Beifall bei den GRÜNEN.)
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