Zusammenfassung
Verhandlungsgegenstand
- VerhandlungsgegenstandLtg.-1797/A-8/43-2021 – KURZ mal aufgehetzt? Gestalten, statt aufhalten – Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung in Niederösterreich JETZT!
Video-Übertragung der Sitzung
Auszug aus dem Sitzungsbericht
Abg. Mag. Suchan-Mayr (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landeshauptfrau-Stellvertreter! Werte Landesräte! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde KURZ mal aufgehetzt? Gestalten, statt aufhalten – Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung in Niederösterreich JETZT! ist zugegebenermaßen ein ungewöhnlicher und entschuldigen Sie meine Stimme, aber zwischen Sprachlosigkeit über die Vorkommnisse der letzten Wochen und einer herbstlichen Verkühlung versuche ich den richtigen Ton zu finden. Aber wir im NÖ Landtag, wir verantwortliche Politikerinnen und Politiker für das Land NÖ können uns den Entwicklungen der letzten Tage, der letzten Wochen, nicht entziehen. Was hier innenpolitisch zu beobachten war, schockiert mich und ist ein schwerer Schlag für die gesamte Politik. Die politische Elite vom mittlerweile zur Seite getretenen ÖVP-Bundeskanzler abwärts zeichnet ein Bild, von dem sich die Österreicherinnen und Österreicher und auch unsere Landsleute in Niederösterreich verständlicherweise abwenden. Gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung: Was ich hier lesen musste bzw. wie der ehemalige türkise Bundeskanzler und seine Prätorianer sich austauschten, ist genau das Gegenteil von dem, was mich zu meinem politischen Engagement bewegt hat. (Beifall bei der SPÖ und Abg. Ing. Huber.) Ich kenne auch viele in den Reihen der ÖVP Niederösterreich, die mit diesem Kurs nicht immer glücklich waren und auch aktuell von diesem zutage getretenen Sittenbild, von dieser Skrupellosigkeit, sehr enttäuscht sind. Der Umgang ist das eine – wie jedoch mit sinnvollen politischen Maßnahmen der damaligen Kern-Mitterlehner-Regierung umgegangen worden ist, wie sinnvolle Maßnahmen auch für unsere niederösterreichischen Landsleute aus Machtgier torpediert wurden, ist das andere. Das kann ich und das können wir nicht akzeptieren (Beifall bei der SPÖ.) – vor allem beim Thema der heutigen Aktuellen Stunde hier im NÖ Landtag, der Kinderbetreuung, der finanziellen Mittel für eine bessere Kinderbetreuung für unsere ersten Bildungseinrichtungen. Ich darf bzw. muss hier auch kurz aus diesen unsäglichen Chatprotokollen zitieren, man kann es ja nachlesen oder es ist mittlerweile auch hinlänglich bekannt … Thomas Schmid schreibt (liest:)„Wir müssen bei Banken aufpassen. Die …“ – und „die“, zur Erklärung, sind eben der damalige SPÖ-Bundeskanzler Kern und ÖVP-Vizekanzler Mitterlehner – „wollen 1,2 Milliarden Euro für Nachmittagsbetreuung, für einen Rechtsanspruch und Vereinbarung Bund-Gemeinden ohne Länder. Megasprengstoff.“ Und Kurz antwortet (liest:)„Gar nicht gut!!! Wie kannst du das aufhalten?“ Weiter schrieb Kurz (liest:) „Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“ Kann ich ein Bundesland aufhetzen? An dieser Stelle frage ich mich: War Niederösterreich das Bundesland, das Sebastian Kurz aufgehetzt hat? Hat er Niederösterreich kontaktiert? Diese Frage steht hier im Raum. Und weil Sie auch alle genau wissen, dass wir hier einen Aufholbedarf haben – gerade im Kinderbetreuungsbereich, im Kinderbildungsbereich – und der Stillstand seit 2016 ist hier offensichtlich. Schauen Sie sich selbst die Zahlen an! Statistisch bewiesen beispielsweise in der Kindertagesheimstatistik, liebe Kolleginnen und Kollegen der ÖVP. Schauen Sie sich den Aufschwung im Burgenland, in Kärnten oder in Wien an! Fragen Sie bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in Tirol oder in Vorarlberg nach! Auch hier gab es Fortschritte seit 2016. Schwer vorzustellen, dass die Bundesländer Vorarlberg oder Tirol unter den aufgehetzten schwarzen Bundesländern waren. Aber in Niederösterreich stagnieren die Zahlen seit dem Zeitpunkt dieser Chats 2016 jedenfalls auffällig. Aber für mich als Familiensprecherin ist die viel wichtigere Frage: Wie geht es den Familien? Wie geht es den Eltern und den Kindern in unserem Land in Niederösterreich? Gibt es eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Gibt es eine echte Wahlfreiheit? Beginnen wir hier bei den Kleinsten im Bereich der Kleinkinderbetreuung, nämlich im Bereich der Null- bis Zweieinhalbjährigen. 2,5 Jahre ist in diesem Zusammenhang ein besonders interessantes Thema, weil im niederösterreichischen Kindergartengesetz geregelt ist, dass man einen Kindergartenplatz ab dem 2,5. Lebensjahr bekommt. Das heißt: Überspitzt könnte man sagen, in Niederösterreich feiern wir nicht den zweiten oder den dritten Geburtstag, sondern den 2,5., weil da darf man dann ja in den Kindergarten gehen. Aber dabei darf man nicht außerachtlassen, dass der Kündigungs- und Entlassungsschutz für Karenz eben gerade für Frauen, für Arbeitnehmerinnen – und hier sind eben besonders die Frauen die Leidtragenden – eben nach dem zweiten Geburtstag, nach dem zweiten Lebensjahr der Geburt des Kindes, endet. Das heißt: Hier hat man dort, wo es keine andere Betreuungsmöglichkeit gibt, z. B. durch Großeltern, echte Probleme, diese Lücke zu schließen. Viele Frauen, ich nenne hier ganz bewusst wieder die Frauen, weil es eben vorwiegend ein weibliches Thema ist, verlieren auch oftmals ihren Job oder laufen eben Gefahr. Diese Lücke gehört geschlossen. (Beifall bei der SPÖ.) Dort wo es Krippen bzw. Kleinkinderbetreuungseinrichtungen gibt, sind sowohl die Gemeinden als auch die Eltern finanziell gefordert. Wie Sie wissen, ich bin selbst Bürgermeisterin in St. Valentin und wir betreiben hier gemeinsam mit der Volkshilfe NÖ zwei Kleinkinderbetreuungseinrichtungen. Für die Gemeinde St. Valentin sind das Ausgaben in der Größenordnung von rund 140.000 Euro für diese beiden Kinderhäuser. Wissen Sie, wie viel die Eltern für einen Ganztagesplatz in einer Krippe zahlen müssen? Ein Beispiel aus dem Bezirk Tulln zeigt uns, wie hoch die Belastung einer Familie ist. Ein berufstätiger vollzeitarbeitender Vater, Mutter teilzeitbeschäftigt, pendeln, eine zweijährige Tochter … sie haben das Glück in einer Gemeinde zu wohnen, wo es eine Kleinkinderbetreuungseinrichtung gibt. Fünf Tage die Woche inkl. Mittagessen … hier fallen monatlich zwischen 430 und 470 Euro an. Wenn man weiß, dass das Medianeinkommen in Niederösterreich, also jenes Einkommen, wo 50 % der Beschäftigten darunter verdienen und 50 % darüber, bei etwas mehr als 2.200 Euro liegt, dann stellt man fest, dass hier ein gravierender Teil des Haushaltsbudgets für die Kinderbetreuung aufgeht. Und das kann sicher nicht unser politischer Anspruch sein. (Beifall bei der SPÖ.) Andere Bundesländer, wie beispielsweise Wien oder das Burgenland, zeigen hier vor, wie es funktionieren könnte. Viele Landsleute, die ihren Wohnort beispielsweise von Wien nach Niederösterreich verlegen, können es gar nicht fassen, dass Niederösterreich hier so hinterherhinkt und die Kinderbetreuung auch solch enorme Kosten verursacht. Aber machen wir auch einen Blick auf die Betreuungsquoten im Kleinkindbereich. Die Statistik Austria weist in der Kindertagesheimstatistik 2020/21 aus, dass im Bereich der Einjährigen in Niederösterreich nur 12,7 % in institutioneller Kinderbetreuung sind. Das ist der schlechteste Wert im Bundesländerranking. Kein anderes Bundesland weist eine derart niedrige Quote auf. Wir sind hier Schlusslicht. Im Bereich der Zweijährigen ist die Quote deutlich höher, auch bzw. vorwiegend aufgrund der Tatsache, dass man eben ab 2,5 Jahren in den Kindergarten gehen kann. Dies zeigt ganz deutlich: Wenn es ein Angebot gibt, dann wird dieses auch angenommen. Gehen wir in den Bereich der Kindergartenkinder, also die Altersgruppe über 2,5 Jahren. Die Betreuungsquote bei den Drei- bis Fünfjährigen liegt bei 97,3 %. Das sagt uns, dass die Kinder auch tatsächlich im Kindergarten sind. In diesem Bereich jedoch stehen tausende Eltern in Niederösterreich vor einer anderen Herausforderung. Hier kämpfen die Eltern mit den täglichen Öffnungszeiten und den Jahresöffnungszeiten, die vielfach mit einem Beschäftigungsverhältnis nicht vereinbar sind. Schließzeiten mit 13, 14 oder 15 Uhr, wie sie in vielen niederösterreichischen Gemeinden Realität sind, stellen für berufstätige Eltern oftmals große Herausforderung oder gar unüberwindbare Hürden dar. Von den Schließtagen, die immer noch viel zu viele sind, gar nicht zu reden und darüber hinaus werden ab 13 Uhr in Niederösterreich Elternbeiträge fällig. Also der Kindergarten am Nachmittag kostet etwas. Man sieht, dass sowohl im Bereich der Kleinkinderbetreuung als auch im Bereich der niederösterreichischen Kindergärten massiver Aufholbedarf besteht. Die politische Komponente in diesem Zusammenhang mit der Kinderbetreuung: Wir sehen, dass hier bereits ein gesellschaftlicher Konsens in Österreich dabei ist, dass die Kinderbetreuung ausgebaut werden muss. Es gibt hier vielerlei Gründe. Zum Ersten: Die Kinderbetreuung muss so ausgestaltet sein, dass es eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt. Der Familienverbund, das heißt, die Situation, wie es vor 20, 30 Jahren war, Vater, Mutter, Kind, Großeltern in einem Haus, gibt es heutzutage oft nicht mehr und wir müssen uns hier anderes überlegen. Für den Wirtschaftsstandort sehr wichtig – denn dort, wo Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden, entstehen auch Arbeitsplätze. Die guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind auch wesentlich, um den ländlichen Raum zu stärken. Ich kenne viele Familien, die sagen: „Dort oder in diesem Ort, in jener Stadt, gibt es gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Wir möchten dort hinziehen.“ Also wir sollten allen in Niederösterreich gleiche Chancen in ihren Orten geben. Beschäftigungsturbo habe ich schon erwähnt und vor allem ein Gewinn für die Zukunft. Denn die Bildungslaufbahn eines Kindes ist auch geprägt, wenn sie schon früh in Kindergärten gefordert werden. Diese Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Aber mittlerweile gibt es, wie schon gesagt, einen sehr breiten gesellschaftlichen Konsens. Wir haben das auch im Vorjahr diskutiert nach der Verbesserung und Umsetzung eines Rechtsanspruchs auf qualitätsvolle Kinderbildungsplätze, Kinderbetreuung ab dem ersten Geburtstag. Bereits im September 2020 haben die Sozialpartner gemeinsam mit der Industriellenvereinigung hier ein Papier für bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie präsentiert. Wir haben auch damals dazu einen Antrag eingebracht, der leider hier keine Mehrheit gefunden hat. Auch ein Jahr später haben dann die gleichen Institutionen eine „Roadmap“ für einen Rechtsanspruch auf qualitätsvolle Kinderbetreuung präsentiert. Auch hier soll eben der wohnortnahe Platz in der Kinderbildung und –betreuung ab dem Herbst 2023 ab zwei Jahren sein und ab 2025 ab dem ersten Geburtstag des Kindes. Hier braucht es eine gemeinsame Anstrengung. Eine gemeinsame Anstrengung des Bundes, gemeinsam mit den Bundesländern und den Gemeinden – so kann dieser wichtige Bereich auch gestaltet werden und unser Ziel nach einem Rechtsanspruch auch umgesetzt werden. Eines ist natürlich ganz klar: Das Kindergartenwesen ist nach wie vor Ländersache. Auch die junge Industrie hat mit folgender Aussage aufhorchen lassen: Ich zitiere von Frau Eichhorn (liest:) „Die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsangeboten darf nicht über die Karrieremöglichkeit einer berufstätigen Mutter entscheiden.“ Oder auch Nationalrat Karlheinz Kopf ist dieser Meinung, wenn er sagt (liest:)„Wir haben ein Riesenarbeitskräftepotenzial bei Frauen. Wir wollen aber nicht Teilzeitjobs forcieren. Schon jetzt arbeitet die Hälfte der Frauen Teilzeit. Das ist eine Armutsfalle im Alter. Viele Frauen wollen mehr arbeiten, können aber wegen fehlender Kindergartenplätze nicht. Das bedeutet natürlich einen hohen finanziellen Anspruch, eine Herausforderung. Hier muss der Bund Geld in die Hand nehmen.“ Das sagt Karlheinz Kopf, der hier leider Gottes auch noch immer in der ÖVP Vorbehalte gegen diese Forderung sieht. Hier stelle ich mir auch die Frage: Warum oder gibt es diese Vorbehalte in der ÖVP Niederösterreich oder warum gibt es diese Vorbehalte immer noch? Können Sie für die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher diese Vorbehalte gegen diese Forderung endlich ausräumen? Das zeigt auch: Im kommenden Monat wird es die Budget-Debatte zeigen, wo die ÖVP Niederösterreich ihre Prioritäten setzt. Dass wir hier gute Ideen auch leben lassen, gemeinsam hier im Sinne unserer Kinder das Beste für die Zukunft unseres Landes wollen. Im Kinderbetreuungsbereich haben wir nun die Chance, hat auch die ÖVP Niederösterreich nun die Chance, das viel zitierte „Miteinander“ ins Zentrum zu rücken und endlich gemeinsam die notwendigen Maßnahmen anzugehen. (Beifall bei der SPÖ.) Her mit der Kindermilliarde! Her mit der Kinderbetreuungsmilliarde! Denn dann können wir es gemeinsam schaffen. Dazu haben wir auch heute unseren Antrag zur Gerechtigkeit für Kinder eingebracht und ersuchen hier auch gemeinsam das Ziel zu verfolgen, dass der Bund diese zusätzlichen 1,2 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsplätze sowie den Ausbau von Nachmittagsbetreuung und ganztägige Schulformen bereitstellt. Ja, es braucht eine landesweite Kraftanstrengung im Sinne unserer Kinder und Eltern, im Sinne auch unseres Familienlandes und das dürfen wir uns nicht nur auf die Fahnen heften – es geht darum, das Leben der Kinder, der Familien, das Leben der Menschen in Niederösterreich zu verbessern. Persönlich freue ich mich darauf, wenn hier mehr und mehr ein Umdenken – wir haben es bei den Beispielen gesehen – auch in der ÖVP kommt und wir hier endlich zu Umsetzungen kommen. Treten wir in einen Dialog und beginnen wir mit den notwendigen Schritten! Beginnen wir heute! Lassen wir die Kinder, die Mamas und Papas, die Omas und Opas, aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen, die Kinderbetreuerinnen und Kinderbetreuer, die in den Gemeinden auch angestellt sind, hier nicht länger warten. Gehen wir es gemeinsam an und setzen wir den nächsten Schritt. Doch die alles und letzte entscheidende Frage ist: Ist auch die ÖVP Niederösterreich bereit dazu? Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
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- Amstetten
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- Klub der Sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Niederösterreichs
- Wahlpartei:
- Sozialdemokratische Partei Österreichs