Erklärung Landtagspräsident Wilfing zur innenpolitischen Situation
Hohes Haus!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten,
bevor wir mit den beiden Aktuellen Stunden in die Tagesordnung einsteigen - wenige Tage vor den Wahlen zum Europäischen Parlament - erscheint es mir im Lichte der Ereignisse der vergangenen Tage erforderlich nicht ohne weiteres zur Tagesordnung überzugehen.
Die vergangenen Tage waren für viele Menschen in diesem Land aufwühlend, schockierend und enttäuschend.
Für die Organe der Republik sind diese Stunden fordernd und turbulent gleichermaßen und es zeichnet sich ab, dass diese Phase noch nicht beendet ist. Ein Land im quasi Dauerwahlkampf, in einem Klima des wechselseitigen Misstrauens unter den politischen Lagern.
Unser Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Dienstag im Rahmen seiner Erklärung wörtlich die „Eleganz der Bundesverfassung“: im Hinblick auf die austarierte Balance und die klaren Verantwortlichkeiten der obersten Organe hervorgehoben.
Eine Eleganz, die sich in Tagen wie diesen bewährt.
Überdies hat er zur Besonnenheit aufgerufen und Verantwortung eingemahnt in Richtung der im Nationalrat vertretenen Parteien.
Konkret hat er appelliert, nicht das kurzfristige Partei-Interesse in den Vordergrund zu stellen, sondern das Wohl der Republik, und damit das Staatsganze in den Mittelpunkt des Handelns zu rücken.
Wenn der Herr Bundespräsident davon spricht, dass es keine Staatskrise gibt, dann unterstreiche ich das an dieser Stelle ausdrücklich.
Überdies ist es aber meine feste Überzeugung, dass ein föderal organisierter Bundesstaat eine besondere Immunität gegenüber Krisen an den Tag legt und insbesondere durch seine föderale Verfasstheit die Garantie für Stabilität, Verlässlichkeit, Freiheit und Berechenbarkeit im Interesse und Dienst unserer Bürgerinnen und Bürger bietet.
Die von der Bundesverfassung im föderalen Bundesstaat vorgesehene Gewaltentrennung, insbesondere mit den Ländern als eigenständige souveräne Einheiten und den verfassungsmäßig autonom agierenden Gemeinden an der Basis, eben diese föderale Grundordnung erweist sich als besonders widerstandsfähig und robust – gerade in herausfordernden Zeiten.
Im Vergleich zu zentralistisch organisierten Staaten in Europa bildet daher der Bundesstaat damit einen Mehrwert an Stabilität und Berechenbarkeit, der nicht hoch genug zu schätzen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir heute die Sitzung des Landtages abhalten, dann gestatten Sie mir, den Appell des Bundespräsidenten zu bekräftigen:
Seien Sie Vorbild in den Debatten, vertreten Sie Ihre Meinung, respektieren Sie aber auch die des anderen, hören Sie zu, damit man Ihnen zuhört.
Seien Sie Vorbild für die Kollegen ebenso, wie für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Versuchen wir gemeinsam durch überzeugende Argumente und durch Tatkraft das Vertrauen, das da und dort verloren gegangen ist, zurückzugewinnen. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat es so formuliert:
„Der Name der Freiheit für Erwachsene heißt Verantwortung“
Seien Sie sich ihrer Verantwortung bewusst.
Die Chance dieses unter Beweis zu stellen bietet sich schon in den kommenden Stunden und Tagen bis zur Europa-Wahl am Sonntag.
Vergessen wir bei all den innenpolitischen Turbulenzen nicht, worum es bei dieser Wahl geht – um Europa und welche Rolle wir darin einnehmen wollen.
Die Wahl am Sonntag ist unsere erste Chance, dass die Menschen in unserem Land wieder einen Vertrauensvorschuss in die Politik leisten.
Die Arbeit dafür beginnt heute und ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein jeder Einzelnen und jedes Einzelnen appellieren, sich hier positiv einzubringen und gemeinsam konstruktiv an unserer Demokratie zu arbeiten.
Im Sinne unseres Landes, im Sinne der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Es gilt das gesprochene Wort